Diese Mutter hat ein gewaltiges Päckchen zu tragen

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Nur ein Kucheltier aus dem Krankenhaus und ein paar Fotos blieben Sophia. Foto: Sören Müller

Landkreis Leipzig. Uns erreichte in diesen Tagen ein trauriger Hilferuf von Freunden einer Mutter, die doch keine Mutter mehr ist. Sie hat nun ein gewaltiges Päckchen zu tragen.

Es ist eine Geschichte, die nur sehr schwer nachempfindbar ist und doch haben wir eine junge Frau kennenlernen dürfen, die trotz unglaublich dramatischer Wochen die Hoffnung nicht gänzlich verloren hat, die Hoffnung auf eine bessere Zeit.

Aber der Reihe nach um das Ganze zu verstehen: Sophia* (24) hatte es bereits im letzen Jahr nicht einfach. Nach einer Trennung aus einer langjährigen Beziehung hatte sie einen Umzug hinter sich, der so ziemlich alle Ersparnisse aufbrauchte. Es ging eigentlich bergauf, neues Glück in der Liebe, neue Wohnung, ein neuer Anfang. Das Blatt sollte sich ändern und die Schicksalsschläge sollten kein Ende nehmen.

Die Verlängerung der befristeten Arbeitsstelle stand zum dritten Male vor der Tür. Diesmal aber verlängerte der Arbeitgeber den Vertrag nicht noch einmal. Nun kann man natürlich sagen: „Passiert, es wird schon bergauf gehen“, weil es meist genauso ist. So ging auch Sophia optimistisch damit um. So schickte sie, bereits vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses, etliche Bewerbungen raus, meldete sich beim Arbeitsamt und alles ging den normalen Gepflogenheiten nach.

Ende Juli war das Arbeitsverhältnis dann ausgelaufen. Einen neuen Job gab es bis dato leider noch nicht, dennoch blieb die 24-Jährige dran und schrieb weiter Bewerbungen, musste allerdings auf die Arbeitsbescheinigung ihres alten Brötchengebers warten. Der ließ sich viel Zeit, heutzutage leider nicht mehr unüblich. Doch diese fehlende Arbeitsbescheinigung sollte Sophia noch richtig an die Grenzen des Ertragbaren bringen, aber dazu kommen wir noch.

Nun vergingen einige Tage und die 24-Jährige hatte mit einmal Unterleibschmerzen die immer stärker wurden. Zunächst nahm sie an, es sei lediglich eine Blasenentzündung und versuchte sie mit Hausmittelchen aus Omas Zeiten zu bekämpfen. Kein Tee der Welt half und die Schmerzen wurden noch am selben Tag immer schlimmer, am Abend dann bis ins Unerträgliche. Jetzt konnte nur noch ein Arzt helfen. So ging es in eine regionale Klinik. Auch bis hierher könnte man von Pech reden, nun aber überschlugen sich die Ereignisse dramatisch.

Im Krankenhaus angekommen, bekam sie die Diagnose: „Sie sind schwanger und sie haben Wehen, ihr Kind ist aber tot, es ist auf dem Weg und kommt jetzt.“, erzählt uns Sophia. Und so bekam sie nun in wirklich hochemotionalen und dramatischen Stunden auf natürlichem Wege ihr verstorbenes Kind. Später stellte sich heraus, dass das Baby einen Gendefekt hatte und wahrscheinlich bereits zwei Wochen zuvor im Mutterleib verstarb. Das bedeutete aber auch die Mutter hatte Glück nicht auch in einen lebensbedrohlichen Zustand zu verfallen. Die Kleine war 46cm groß und wog bereits 2255g. Sophia war zum Zeitpunkt der Geburt in der 35. Schwangerschaftswoche (SSW).

Durch die schwere Erkrankung des Kindes hatte die Mutter keine Kindsbewegungen spüren können, so die Aussage des Arztes und der Hebamme ihr gegenüber. Die gesamte Schwangerschaft blieb unbemerkt. „Es gab keine Anzeichen dafür“, sagt sie.  Keine Gewichtszunahme, kein Bauch, keine Kindsbewegungen, keine typischen Schwangerschaftsbeschwerden, kein Ausbleiben der Regelblutung. Dabei sei die „Gravitas suppressalis“, die sogenannte verdrängte Schwangerschaft, häufiger als gedacht, sagt der Berliner Frauenarzt und Psychotherapeut Peter Rott gegenüber der „Welt“. Einer von 500 schwangeren Frauen sei ihr anderer Umstand nicht bewusst.

„In Deutschland gibt es pro Jahr rund 1300 verdrängte Schwangerschaften“ erklärt Rott. „Bei 270 davon werde diese sogar erst bei der Geburt festgestellt“, sagt der Frauenarzt, der sich seit über 20 Jahren mit verdrängten Schwangerschaften beschäftigt. Verdrängte Schwangerschaften spielen sich komplett im Unterbewussten ab. Die Frau bekommt davon nichts mit, so wie auch im Fall von Sophia.

Wenige Fotos erinnern an die Kleine, die nie das Licht der Welt erblicken konnte. Foto: privat

In Deutschland enden weniger als 4 von 1000 Schwangerschaften mit einer Totgeburt. Ein Baby, dass tot geboren wird und mehr als 500 Gramm wiegt (etwa ab SSW 21), gilt als Totgeburt. In diesem Fall spricht man im Volksmund von einem sogenannten „Schmetterlingskind“, bedingt durch den bereits vor der Geburt vorhandenen Gendefekt.

Sophia konnte ihr totes Kind noch einmal auf den Arm nehmen und zumindest in diesen Minuten versuchen das gerade Passierte in irgendeiner Weise zu realisieren. „Ich wollte sie wenigstens kurz kennenlernen wobei ich sie nie kennenlernen werden kann“, erzählt uns Sophia mit Tränen in den Augen. Sie wird nie ihre Stimme hören können, nie wissen wie die Augenfarbe gewesen wäre oder ihr Lächeln erleben, die ersten Schritte oder das erste Krabbeln. Sind das nicht Dinge auf die sich werdende Eltern freuen? Nun aber ist das schon alleine ein so unglaublich trauriger Schicksalsschlag,  doch es sollte noch schlimmer werden.

Zum Realisieren und Trauern war keine Zeit. Nun musste eine Geburtsurkunde für das tote Kind beantragt werden, Bestattung und Friedhof organisiert werden, Finanzierung der Bestattung und, und, und, außerdem war da ja noch die fehlende Arbeitsbescheinigung, die alles nur noch komplizierter machen sollte. Erfahrungen in diesem Bereich hatten weder Sophia noch ihr neuer Lebensgefährte Martin* (23), der sie im Übrigen auch in der schweren Zeit besonders unterstützt. Und so gaben sie ihre Geschichte in die Hände eines örtlichen Bestattungsunternehmens. Leider lief das auch nicht ganz reibungslos ab. Die Kostenvoranschläge wurden den Erzählungen nach ständig geändert, kaum war ein Termin vorbei, klingelte das Telefon und es wurden weitere Dinge angerechnet, abgezogen und wieder angerechnet. Etliche Mails ausgetauscht, Abstimmungen gemacht und am Ende fehlte es wohl an der Gesamtberatung. Denn wirkliche Alternativen zur Bestattungsform wurden Sophia seitens der Firma nicht gemacht, trotz der Kenntnis über die finanzielle Lage. Gerade die Abstimmungen waren für die 24-Jährige nach dem Erlebten nicht einfach.

Während dessen hatte Sophia bereits mehrfach in der Arbeitsagentur vorgesprochen und um eine schnellere Bearbeitung gebeten, denn Bestatter und Friedhof wollen schließlich bezahlt werden, Miete und Lebensmittel müssen auch besorgt werden. Doch leider waren der Agentur die Hände gebunden, denn die Arbeitsbescheinigung fehlte ja nach wie vor. Durch den Mutterschutz darf sie derzeit nicht arbeiten gehen.  Außerdem musste Sophia nun über die Krankenkasse Mutterschaftsgeld beantragen, denn das steht ihr trotzdem für zwölf Wochen zu. Nur auch dort konnte man ohne die Berechnung des Arbeitsamtes nichts für Sophia tun und auch das Sozialamt selbst kann keine Berechnung durchführen, weil das Einkommen derzeit nicht berechnet werden kann. Des Weiteren fehlte bisher ein endgültiger Kostenvoranschlag des Bestattungsunternehmens.

Erst Anfang September kam nun endlich die besagte Arbeitsbescheinigung, sodass der Behördenkreisel endlich in Gang kam. Bis zur Bewilligung und dem Geldeingang können aber noch Wochen vergehen.  Nach ersten groben Berechnungen wird dieses Geld höchstens zur Abdeckung der Fix-Kosten wie Miete und Lebenserhaltung reichen, eine Bestattung ist da wohl kaum von bezahlbar.

Die Ersparnisse wurden durch den Umzug im Frühjahr aufgebraucht und die Mittel der Eltern und des Lebensgefährten sind ebenfalls begrenzt und ausgeschöpft. Sophia hatte natürlich mit Vermieterin und Co. versucht zu sprechen und um einen Aufschub gebeten, doch auch hier konnte oder wollte man ihr nicht helfen. Nun sind Fragen offen geblieben, wie die Bestattung bezahlt werden soll und wie Sophia die nächsten Wochen über die Runden kommen soll. Bisher konnten die Eltern und Freunde aushelfen, Sophia würde jetzt im schlimmsten Falle wohl auf der Straße sitzen.

Doch trotzdem keimt vor allem in Sophia Hoffnung auf ein geregeltes Leben nach dieser bitterbösen Erfahrung auf „Ich wünsche mir einfach Zeit, das Ganze zu verarbeiten, zu trauern und so das Geschehene zu verarbeiten, leider ging das aufgrund der ganzen Umstände bisher nicht.“

Ihr blieb von ihrer Mutterschaft nur ein kleiner Plüschvogel den sie vom Krankenhausteam bekam. Ein trauriges Andenken an ein kleines Leben, welches nie die eigenen Augen für das Licht der Welt öffnen konnte und dennoch eine ganz eigene Geschichte erzählt. Wer Sophia mit Rat und Tat zur Seite stehen will, kann Kontakt zu ihr unter der Mailadresse: schmetterlingskind24@gmail.com suchen. *Namen von der Redaktion geändert