Sachsen. Seit 27 Jahren wird durch die Dr. Silvius Wodarz Stiftung der Baum des Jahres ausgerufen.
Im kommenden Jahr wird diesen begehrten Titel erstmals die Fichte tragen โ eine Baumart die polarisiert, und die wie keine andere die Geschichte des sรคchsischen Waldes geprรคgt hat. Wer die Landschaft Sachsens mit offenen Augen erkundet, kommt an der Fichte nicht vorbei. Ob Elbsandsteingebirge, Erzgebirge oder Zittauer Gebirge, Tharandter, Werdauer oder Wermsdorfer Wald. Das schlanke Nadelgehรถlz begegnet einem in Sachsen allerorten.
Eine entscheidende Ursache fรผr den Siegeszug der Fichte findet sich tief unter der Erde der sรคchsischen Mittelgebirge. Um das Jahr 1168 begann mit dem ersten โBerggeschreyโ eine rasante Entwicklung des Bergbaus im Erzgebirge, die bis ins frรผhe 19. Jahrhundert anhielt. Damit verbunden war ein starker Bevรถlkerungszuwachs und die florierende Entwicklung der sรคchsischen Metropolen, allen voran Dresden und Freiberg. Die Folge war ein immenser Bedarf an Bau- und Brennholz, der zunรคchst zu einem massiven Rรผckgang der Waldflรคche fรผhrte. Dieser Entwicklung begegnete man zunehmend รผber den Anbau der produktiven Fichte, bis diese zur prรคgenden Baumart ganzer Regionen wurde. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatten homogene Fichtenforste die ursprรผnglichen, artenreichen Waldgesellschaften in den sรคchsischen Mittelgebirgen verdrรคngt.
Das bis dahin gute Image der Fichte โ anspruchslos, schnellwachsend, produktiv und wirtschaftlich gut nutzbar โ bekam ab den 1960er Jahren deutliche Kratzer. Die sรคchsischen und bรถhmischen Mittelgebirge waren zu diesem Zeitpunkt nahezu ausschlieรlich mit Fichten bestockt. Der zunehmende Eintrag von Schwefelverbindungen aus den Industrie- und Kohlerevieren des Bรถhmischen Beckens lieร in den Kammlagen des Erzgebirges Fichtenbestรคnde auf mehr als 15.000 Hektar Flรคche absterben, zehntausende weitere Hektar wurden dauerhaft stark geschรคdigt. Auch dieses Bild von Landschaften voller grauer Baumskelette ist untrennbar mit der Waldgeschichte in Sachsen verbunden. Durch technische Maรnahmen in den Industrieanlagen hat sich nach der politischen Wende die Luftqualitรคt wieder verbessert. Dadurch, aber auch durch forstliche Maรnahmen wie die Bodenschutzkalkung, ist eine Erholung der Fichtenbestรคnde zu verzeichnen.
Jedoch droht der Fichte neue Gefahr โ bei steigenden Temperaturen und geringeren Niederschlรคgen zรคhlt die feuchtebedรผrftige Baumart zu den Verlierern im Klimawandel. Verheerende Stรผrme wie Vivian, Lothar, Wiebke oder zuletzt 2007 Kyrill haben anschaulich offenbart, wo die Anpassungsfรคhigkeit der Fichte endet. Insbesondere im Hรผgelland und in den unteren Berglagen drohen Massenvermehrungen des Buchdruckers. Und selbst die angestammte Heimat der Fichte โ die Hoch- und Kammlagen der Mittelgebirge โ bleiben bei fortschreitendem Klimawandel nicht davon verschont.
Der Baum des Jahres 2017 steht hierzulande am Scheideweg. In der Vergangenheit war die Fichte ein Ausweg aus der Holznot und diente der Wiederbewaldung devastierter Landschaften. In Zukunft soll sie nur noch dort wachsen, wo sich die standรถrtlichen Bedingungen wirklich eignen. Dieser Waldumbau ist ein Generationenprojekt โ der Weg von den homogenen Fichtenforsten hin zu standortgerechten, stabilen Mischwรคldern, in denen die Fichte neben anderen Baumarten auch kรผnftig ihren Platz findet, ist ein Weg der behutsamen, kleinen Schritte. Stรผck fรผr Stรผck, aber kontinuierlich, weicht die Uniformitรคt monotoner Fichtenforste der stabilen Vielfalt, die bereits heute unter ihrem Kronendach heranwรคchst.
Noch ist die Fichte gefolgt von der Kiefer die bedeutendste Baumart im Freistaat und wird dies auch auf lange Zeit noch bleiben. Fichten wachsen auf gut einem Drittel der sรคchsischen Waldflรคche, immerhin 173.000 Hektar. Mit 1,3 Millionen Kubikmetern Holz liefert die Fichte mehr als die Hรคlfte der jรคhrlich eingeschlagenen Holzmenge in Sachsen und ist damit entscheidende Grundlage der Wertschรถpfung im Sektor Forst und Holz.
Es ist diese Ambivalenz zwischen ihrer รผberragenden wirtschaftlichen Bedeutung und der hohen Anfรคlligkeit gegenรผber den Folgen des Klimawandels, dass es 27 Jahre gedauert hat, bis die Fichte zum Baum des Jahres gekรผrt wurde. Der sรคchsische Baum des Jahrhunderts aber ist sie schon lange.
Quelle: PM Staatsbetrieb Sachsenforst