Naunhof/Grimma. Es ist ein ungewöhnlicher Ort, an dem ich den Sänger der Muldentaler Kultband Tageins, Uli Backhaus treffe. Ein Ort, der daran erinnert wie im Juni 2015 der Unfalltod des Tageinsmitgbegründers Christian Kruck das Leben aller Bandmitglieder, Freunde und Fans auf den Kopf stellte.
Ich treffe Uli Backhaus im Grimmaer Kreiskrankenhaus an der Dialyse. Seit Jahren wäscht eine Maschine sein Blut aus, damit er weiterleben kann. Seit Jahren wartet er auf ein Spenderorgan, dass sein Leben deutlich verbessern würde. Eigentlich hätte er im letzten Jahr eins bekommen können, doch der Spender hatte Nierenkrebs und die Operation musste vor dem ersten Schnitt abgebrochen werden.
Auch hier ist das Thema Tod und Leben so eng beieinander, wie es enger nicht sein könnte. Bis zum Juni letzten Jahres war für die Band das Thema Tot irgendwie weit weg. Klar, es gehört zum Leben dazu und es passiert jedem einmal, aber das war weit weg, bis Christian Brötchen holen fuhr und nie wieder zurückkehrte.
Es war der Tag, an dem ein Prozess einsetzte, der fast das Aus der Band bedeutete. Der Macher war plötzlich nicht mehr da, Ulli Backhaus wollte ebenso wie die Band weitermachen, doch irgendwie waren alle kopflos. Jeder versuchte sich irgendwie in einer Art hilflosen Aktionismusses, sich abzulenken und den anderen irgendwie eine Stütze zu sein, um das Unfassbare fassbar zu machen.Egal, was einer sagte, welches Stück gespielt werden sollte, immer flossen bei einem die Tränen. Aus der Hilflosigkeit entstanden manche Diskussionen, bei denen Worte gesagt wurden, die normalerweise undenkbar waren, oder die, wie auch immer falsch verstanden wurden.
Uli Backhaus beschreibt diese Zeit als ein tiefes schwarzes Loch, aus dem jeder raus wollte, nur keiner den Ausgang fand.
„Plötzlich war alles anders! Noch wenige Tage vorher trafen sich Christian und ich wie immer am Gartenzaun. Wir sprachen über Gigs, die Songliste, schmiedeten Pläne. Noch wenige Tage vorher haben wir seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert. Die Geschenke standen alle noch im Probenraum, unberührt, keiner traute sich lange Zeit sie wegzuräumen. Egal, was war, ich musste heulen!“
Eines der wenigen Konzerte nach dem Tod von Christian, war der Auftritt in der Grimmaer Frauenkirche und das Konzert auf dem Bikertreffen in Beucha. Die Band gab alles, aber die Spannungen, die jeder in sich trug, nahmen auch die letzte Kraft von den Musikern.Letztendlich kam es, wie es kommen musste. Die Band legte eine Auszeit ein. Nur wenige Gigs, jeder machte irgendwie Urlaub vom Ich, um zu sich selbst zu finden und Kraft für einen Neuanfang zu sammeln.
„Es war eine Zeit der Selbstfindung und eine Zeit der Neuorientierung. Tageins war plötzlich nicht mehr Tageins!“
Ulis Blick wandert zu den Schläuchen, die zu einer riesigen Maschiene führen. Da hängt das Leben dran und an der Musik auch, sagt er dann nachdenklich, und fährt fast trotzig fort: „Es musste weitergehen! Das waren wir nicht nur uns oder Christian schuldig, dass waren wir in erster Linie auch unseren Fans schuldig, die uns in den dunkelsten Zeiten auf Händen getragen und ein Licht gehalten haben! Das können wir gar nicht hoch genug einschätzen. Tageins kann mit Fug und Recht behaupten, die besten Fans der Welt zu haben. Sie haben uns aus einem Tief geholt, aus dem wir heute ohne sie noch lange nicht raus wären,“ so der Bandleader.
Es war für die Band eine Zeit des Ausprobierens. Das Schlagzeug musste neu besetzt werden, der Pianist hat sich aus familiären Gründen von der Bühne weg, hin zu den Enkelkindern gezogen gefühlt. Mario Rostenbeck, der schon zu DDR-Zeiten große Erfolge als Gitarist bei Amor and the Kids feierte, sprang als ebensolcher und Sänger für Christian ein. Tom Ficker, einer der brilliantesten Nachwuchspercussionisten, ist beim Bikertreffen in Beucha Mitglied der Stammbesetzung geworden. An den Pianos ist aushilfsweise, zumindest bis ein würdiger Nachfolger gefunden ist, Paolo, ein Italiener mit sehr viel Taktgefühl, der vielleicht auch bleibt. Stefan Backhaus, Cousin von Ulli, lässt nach wie vor den Bass hämmern.Dann grinst Uli wie ein kleiner Schuljunge und sagt: „die Besucher unseres Konzertes am 5.März im Naunhofer Bürgersaal können sich auf einiges gefasst machen. Wir fangen um zwanzig Uhr an, spielen mindestens sechs Stunden und feiern das zurückgewonnene Leben. Wir werden rocken was das Zeug hält! Besonders freuen wir uns, dass auch das Stadtoberhaupt Volker Zocher mit uns in die Saiten greifen wird. Eine Rockband wird nie zu alt für die Musik, wir mischen die Welt auf, damit sie für ein paar Stunden einen kleines bisschen besser wird! Zum Glück ist der Hörgeräteladen ja gleich nebenan und macht auf, wenn wir zu spielen aufhören!“
Auf eines freut sich der Altbarde auf jedenfall! „Als Vorguppe kommt die Band „Standpunkt“ aus Wurzen, die auch musikalisch ihren Standpunkt zu setzen weiß. Gemeinsam werden wir dann den ersten Tag mit Tageins im Jahr 2016 feiern. Der Tag, an dem die Band auf die Bühne zurückkehrt.“
Fotos und Text Detlef Rohde