Grimma. Unter einem hoch brisanten Stern stand gestern die Informationsveranstaltung des Landkreis Leipzig in Grimma zur aktuellen Flüchtlingsunterbringungssituation im Landkreis. Ein Zahlenwirrwarr, viele verschiedene Meinungen, spärlichen Informationsbestätigungen, eine mögliche Finte, offene Fragen und sogar ein Überraschungsgast wurden den zahlreichen Interessierten serviert.
Erst gestern, mehr durch Zufall, wurde bekannt dass die Turnhalle des Beruflichen Schulzentrums in der Karl-Marx-Straße in Grimma Notunterkunft des Landkreises wird. Landrat Graichen hatte entsprechend die Vereine informiert. Das Ganze sorgte für ordentlich Wirbel in einer ohnehin völlig destransparenten Situation. Klarheit sollte eine Informationsveranstaltung im Rathaussaal, im Beisein vom Beigeordneten Dr. Vogt, Landrat Graichen (CDU), Matthias Berger (OBM parteilos) und Falk Donner (Polizeirevier Grimma), geschaffen werden. Nachdem Oberbürgermeister Matthias Berger die Veranstaltung eröffnete, stellte Graichen den aktuellen Stand vor. Der Landkreis hat eine aktuelle Zuweisungsrate von insgesamt 1400 Flüchtlingen im November bis Dezember aufzunehmen. 60 % davon sollten eigentlich dezentral untergebracht werden, das würde bis jetzt ganz gut klappen, jedoch würde nun seit knapp 14 Tagen eine neue Situation herrschen. Ab Januar 2016 müssen etwa 800-850 Flüchtlinge monatlich untergebracht werden, sodass man auf neue zentrale Flüchtlingsunterkünfte nicht mehr verzichten könne. Großes Raunen ging durch den Saal. Die Tendenz ist nach oben hin völlig offen. In Grimma sind derzeit ca. 300 Personen untergebracht, vorranig dezentral.
Zum „Roten Ochsen“, der angeblich vom Tisch gewesen sei, sagte er: „Das Gebäude, wurde durch Einwände der Mieter des TLG nochmal komplett neu bewertertet. Die Gemeinschaftsunterkunft muss in Betrieb genommen werden. Entsprechende Betreiberverträge werden vorbereitet und kommenende Woche dem Kreisrat vorliegen. Es ist davon auszugehen, dass die Genehmigung Anfang Dezember erteilt wird.“ Die Baugenehmigung ist allerdings noch nicht erteilt, da Brandschutzauflagen noch erfüllt werden müssen. Geplant ist eine Unterbringung ab dem 29.12.2015. Die ersten Bewohner könnten jedoch schon am 22.12. einziehen“
Zweifellos ergibt sich die Frage: Wurde hier seitens des Betreibers mit dem angeblichen Auszug des Heimleiters in Spe und gezielten Falschmeldungen eine falsche Fährte gelegt? Sollte die Informationsveranstaltung im Vorfeld „beruhigt“ werden?
Die Belegung der Turnhalle in der Karl-Marx-Straße ist derzeit nötig, da geeignete Unterkünfte fehlen. Diese ist als Notunterkunft zu betrachten. Außerdem ist weiterhin offen was mit den Medienanschlüssen nach dem 31.12.2015 passiert. Die Grimmaer TLG-Geschäftsführung soll gestern nach Anfrage von Mietern noch einmal bestätigt haben, dass die Anschlüsse gekündigt wurden und es keine Versorgung ab dem 01.01.2016 seitens der TLG geben wird. Auch die logische Konsequenz der Abschaltung sei laut unseren Informationen bereits organisiert. Leipzigs Polizeipräsident Bernd Merbitz trat mitten in der Veranstaltung völlig überraschen auf und gab ebenfalls Auskunft. So beklagte er den Polizeinotstand, die nicht einfache Situation der Polizei und die extremen Einsatzzeiten die vorranig auch auf Demonstrationseinsätze zurückzuführen sind. Außerdem gab er zu bedenken: „Jeder Mensch ist vor dem Gesetz gleich und aktuell werden die meisten Straftaten nach wie vor von Deutschen begannen und nicht von Ausländern. Ängste und Sorgen dürfen aber auch nicht immer gleich in die rechte Ecke gestellt werden“.
Nach dem Statement wurden viele Meinungen kund getan, von bundespolitischer Kritik, fehlender Ursachenbekämpfung, Begrenzung der Zuwanderung, „Honig im Kopf“ bei Politikern, rechtsmotivierten Angriffen auf Heime, linksmotivierten Angriffen auf Behörden, Ängsten und Sorgen, bis hin zum Apell zum Brücken bauen waren zahlreiche Interessen vertreten.
Matthias Berger betonte die „Fähigkeit der Grimmaer mit Sachlichkeit“ zu glänzen, machte aber auch keinen Hehl aus seiner persönlichen Meinung. „Bürokratie zerschlägt die Flexibilität der Deutschen“. Er sprach von „außenpolitischen Versagen“ als Ursache für die Krise. Matthias Berger stärkte aber auch Henry Graichen den Rücken. Kommunen und Landkreise stehen vor einer enormen Herrausforderung und müssen die Gesetze der Landes- und Bundesregierung umsetzen. Berger wird sich vehemend gegen Gewalt in seiner Stadt einsetzen und wenn irgendwelche Bürger der Meinung sind, vor Wohnungen von Flüchtlingen zu ziehen, um Flüchtlingen Angst zu machen, wird er sich dazwischen stellen.
Beispiele für eine gelungene Integration zeige der Ruderverein in Grimma, welcher mit behördlichen Hürden zu kämpfen hat um hier überhaupt helfen zu können, meint einer der anwesenden Bürger. „Flüchtlinge haben auch Angst vor Radikalen“ trug ein weiterer Bürger bei. Weiter führte er aus: „Ablehnung hilft nicht weiter und wenn wir im Großen nichts tun können, können wir es im Kleinen – wie kann man helfen muss die Frage sein“. Revierleiter Frank Donner verglich die Veranstaltung in Grimma mit vielen Anderen im Landkreis. Die Äusserungen, Ängste und Sorgen gleichen sich und er gab zu bedenken: „Es hilft wenn Bürger über Ihren Schatten springen und das Gespräch mit Flüchtlingen suchen“.
Selbstkritik gerade im Bezug auf fehlende Transparenz seitens des Landkreises gab es nicht und auch sonst wurden Fragen teilweise kaum beantwortet. Auf die Frage wieviele Personen in der Turnhalle unterkommen sollen, konnte Dr. Vogt keine genaue Angabe machen. Man will die Halle mit mobilen Wänden in mehrere „Zimmer“ aufteilen. Die einzig sichere Zahl war heute wohl nur die Zuschaueranzahl, insgesamt hatten sich 200 Personen im Rathaussaal eingefunden.
Die wahrscheinlich ortsbezogensten Fragen des Abends kamen von einem Bürger kurz vor Ende: „Ist in dieser Schule (Anm. d. Red.:gemeint ist die Thematik der Turnhalle im BSZ Grimma) gleichzeitig Unterricht? Ist es nicht irgendwo blauäugig diese Sache so eng beieinander zu bringen? Dort werden doch Konfliktpunkte herbeigeschworren oder denken sie das die Schüler, alle, diesen Leuten gegenüber wohlgesonnen sind? Ich würde mir gerne etwas mehr Fingerspitzengefühl bei der Auswahl solcher Stätten wünschen. Das ist für mich ein bisschen zu nah. Die teilen sich den Schulhof, die Halle ist nur ca. 20 Meter vom Schulgebäude entfernt und mit nur einem Gang verbunden. Dort sind Komplikationen vorprogrammiert. Das ist nicht gut vom Landkreis gewählt. Ich will es nicht herbeireden aber wenn dann irgendwann das Kind in den Brunnen gefallen ist dann ist es irgendwann zu spät und dann brauchen wir solche Veranstaltungen wie heute nicht.“ Graichen machte daraufhin klar das der Landkreis unter den derzeitigen Bedingungen keine andere Wahl hätte und zeigte sich zumindest verständnisvoll.
Weiterhin erfuhren wir im Vorfeld, dass die spontane Entscheidung des Landkreises für erhebliche Einschränkungen im Trainingsablauf der Jugendmannschaften des FC Grimma sorgen wird. Nachwuchsleiter des FC Grimma, Daniel Kurzbach bestätigte uns auf Nachfrage das damit etwa 13 Trainingszeiten und damit 11 Jugendmannschaften betroffen sind. Bei insgsamt 19 Trainingszeiten die insgesamt über alle Hallen im Stadtgebiet verteilt sind, stellt das Ganze einen erheblichen Einschnitt dar. Ebenfalls betroffen ist auch der Volleyballsport. Man wolle Lösungen finden, wie diese allerdings aussehen ist völlig offen.Ein Angebot für Personen welche ehrenamtlich bei der Betreuung und Integration helfen wollen wurde seitens der Stadt Grimma gemacht. Freiwillige können sich bei Frau Rudolph über die Stadtverwaltung Grimma melden. „Jede Hilfe ist herzlich Willkommen“. Sie selbst hat bisher keine schlechten Erfahrungen im Umgang mit Flüchtlingen hier in Grimma gemacht und ist Dankbar für jede Mitwirkung.
Am Rande der Veranstaltung wurde zudem eine Kundgebung mit Spaziergang durch einen Legidaableger namens Bürgerbewegung Grimma auf dem Nicolaiplatz abgehalten. Ein größeres Polizeiaufgebot sicherte die Demonstration, zu der etwa 100 Teilnehmer aus Grimma, Regis-Breitingen und dem Umland teilnahmen, ab. Ein Gegenprotest mit ca. 30 Teilnehmer fand in unmittelbarer Nähe am Kinder und Jugendhaus statt.
Fazit: Die Flüchtlingskrise ist mit der Bekanntmachung über die Unterbringung in der Turnhalle in Grimma nun endgültig in der Muldestadt angekommen. Was vorher noch weit weg schien wird nun in Grimma zur Realität. Wir alle müssen nun ein wenig enger zusammenrücken, wie auch in allen anderen Kommunen. Wie sich die Stadt und die Bürger damit arrangieren werden ist genauso ungewiss, wie eine endgültige Summe an Flüchtlingszuweisungen. Am Ende muss auch Grimma sich beweisen und lernen damit umzugehen. In der Not liegt auch die Chance auf Veränderung, wie Matthias Berger heute erwähnte. Weise Worte, wie ich finde.
Sören Müller