Leipzig. Die Polizeidirektion Leipzig bereitet sich intensiv auf die Demonstrationen im Sรผden Leipzigs am 18. Mรคrz vor. Diesbezรผglich gibt es ein Vorabstatement der Leipziger Polizei.
Kommenden Samstag erwartet Leipzig wieder eine brisante Demonstrationslage im sรผdlichen Bereich. Die Polizei erwartet ein รคhnliches Szenario wie am 12. Dezember 2015, als es wรคrend der Kundgebung zu schweren Ausschreitungen kam.
Komplettes Interview mit Polizeisprecher Andreas Loepki (ungekรผrzt)
Wie ist die Erwartungshaltung der Leipziger Polizei?
Obwohl es sich um klar umrissene Grundrechte handelt, ist die Polizei einmal mehr in der misslichen Lage, der Meinungs- und der Versammlungsfreiheit zweier kontrรคrer Lager gleichzeitig zur praktischen Geltung verhelfen zu mรผssen und dabei friedliche Zustรคnde abzusichern. Wie seinerzeit am 12. Dezember
2015 tritt hier รคuรerst erschwerend hinzu, dass Rechtsextreme nicht zufรคllig durch zwei eher linksalternativ geprรคgte Stadtviertel ziehen wollen und sich kaum Mรผhe geben, ihre provozierende Absicht zu verschleiern. Zum Beispiel ist wohl wieder die โBrigade Halleโ beteiligt, welche schon damals formulierte, โConnewitz in Schutt und Asche legenโ zu wollen. Sie wollen damit eindeutig Gewalt von linker Seite auslรถsen, um hernach โ selbst eben nicht minder gewaltbereit โ behaupten zu kรถnnen, das eigentliche Problem unserer Gesellschaft wรคre auf linker Seite zu verorten. Und leider werden Linksextreme, abseits des legitimen und friedlichen Gegenprotests, diese Provokation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nur zu gern zum Anlass nehmen, um ihrer eigenen und primitiven Gewaltaffinitรคt das Deckmรคntelchen des politischen Kampfes รผberzuziehen.
Wie auch im Vorfeld des 12. Dezember 2015 kursieren bereits jetzt diverse Gewaltankรผndigungen bzw. Aufrufe, die auf Gewalt schlieรen lassen. Deren Ursprรผnge sind rechts wie links zu finden, wobei daraus schon heute ersichtlich ist, dass auch die Polizei โ mindestens fรผr das linksextremistische Lager โ ein โangriffswertesโ Ziel darstellt. Folglich werden abermals Polizeibeamte, also junge Frauen und Mรคnner der geschlossenen Einheiten, die sich am Morgen als Mรผtter und Vรคter in vielen Fรคllen mit einem Kuss von ihren Kindern und Angehรถrigen verabschiedet haben, in der Gefahr stehen, dem Bewurf hunderter Pflastersteine ausgesetzt und entmenschlicht zu werden. Wenn wir dieses Szenario so deutlich umreiรen, malen wir nicht den Teufel an die Wand, sondern benennen schlicht die Wahrheit beim Namen. Es braucht im Nachhinein also niemand behaupten, dieses oder jenes wรคre รผberraschend eingetreten.
Sollte das Versammlungsgeschehen dann im Interesse aller nicht lieber verboten werden?
Vor dem Hintergrund unserer Gefahrenprognose wรผrde jeder Polizeibeamte eine solche Entscheidung erleichtert begrรผรen. Aber jeder Polizeibeamte hรคtte hernach trotzdem Bauchschmerzen, denn ein Verbot kann keine wirkliche Lรถsung sein. Es ist einer Demokratie und einem Rechtsstaat nicht zutrรคglich, wenn es Extremisten โ gleich welcher Fรคrbung โ vermรถgen, unliebsame Meinungen zu unterdrรผcken. Und wer definiert รผberhaupt, bis zu welchem Punkt eine Meinung unliebsam ist und unterdrรผckt werden darf? Wer bestimmt das Meinungsdiktat? Einem Verbot wohnen also erhebliche Gefahren fรผr die allgemeinen Grundsรคtze unserer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft inne. Genau deshalb hat die Rechtsprechung sehr hohe Hรผrden definiert und die Exekutive damit verpflichtet, alles zu unternehmen, um den prognostizierten Gefahren durch Vorkehrungen zu begegnen. Dabei รผberwiegen die zu schรผtzenden Grundrechte im รbrigen auch regelmรครig fiskalische Gesichtspunkte.
Auf welche Einsatzdimension mรผssen sich die Leipziger einstellen?
Aus einsatztaktischen Grรผnden berichtet die Polizei vorab regelmรครig nicht darรผber, in welchem konkreten Umfang wir Krรคfte zum Einsatz bringen. Ich kann aber verraten, dass selbst unsere Minimalanforderung einen der grรถรten Polizeieinsรคtze der jรผngeren Vergangenheit nach sich ziehen wรผrde, der nicht allein aus Krรคften der sรคchsischen Polizei zu stemmen wรคre. Aufgrund der noch ausstehenden Bescheide seitens der Versammlungsbehรถrde sind mir auch noch keine genauen Angaben zu Einschrรคnkungen mรถglich. Doch es liegt nach jetzigem Kenntnisstand klar auf der Hand, mindestens im Sรผden der Stadt Leipzig mit Sperrungen, Verkehrsumleitungen und ausgesetztem Personennahverkehr rechnen zu mรผssen. Wird Bรผrgern von einer Teilnahme an den Versammlungen bzw. an den Protesten abgeraten? Nein, dies tun wir ausdrรผcklich nicht. Es muss mรถglich sein und bleiben, Meinungen innerhalb der bestehenden Grenzen friedlich zu artikulieren und hierfรผr einzutreten. Und es muss mรถglich bleiben, extremistischem Gedankengut entgegenzutreten. Damit meinen wir jedoch wiederum explizit jedwedes extremistische Gedankengut und Handeln. Es kann also nicht angehen, dass steinewerfende Chaoten inmitten des vermeintlich friedlichen Protests agieren kรถnnen und dort Schutz durch Masse erfahren. Hier erwarten wir eine umgehende rรคumliche Distanzierung โ auch im eigenen Interesse. Denn wer eine Solidarisierung am Landfriedensbruch fรผr gerechtfertigt hรคlt oder seine nackte Schaulust befriedigen will, soll dann bitte spรคter nicht darรผber klagen, wenn er seitens der Polizei in der Anwendung unmittelbaren Zwangs betroffen wurde. Diesbezรผglich lasse ich auch kein Argument gelten, wonach die Polizei mit dieser Bitte angeblich die รrtlichkeiten des friedlichen Protests der Auflรถsung preisgibt. Wo Steine fliegen, Vermummte Barrikaden bauen und Mรผlltonnen anzรผnden, kann es keinen friedlichen Protest an gleicher Stelle geben. Wer also mit dem Feuer oder in dessen unmittelbarer Nรคhe spielen muss, kann sich eben auch mal die Finger verbrennen. Er sollte dann aber nicht jammern.
Gibt es allgemeine Verhaltenstipps fรผr Versammlungsteilnehmer, Anwohner, Passanten oder Verkehrsteilnehmer?
Zunรคchst bitte ich alle um Verstรคndnis fรผr die gefahrenabwehrenden Maรnahmen der Polizei. Es wird leider unvermeidbar sein, Sperren zu errichten und an bestimmten Stellen den Durchlass zu verweigern. Somit mรผssen sich die Bรผrger auf Umwege und somit auf einen zeitlichen Mehraufwand einstellen. Die vor Ort handelnden Beamten werden entsprechend sensibilisiert sein und im Rahmen der objektiven Mรถglichkeiten Auskunft zu Umleitungen erteilen, aber angesichts von einer Vielzahl auswรคrtiger Krรคfte und angesichts eines wahrscheinlich sehr dynamischen Einsatzverlaufs kann ich keine Garantie geben, dass die Auskรผnfte รผberhaupt oder in einem besonders freundlichen Ton erfolgen kรถnnen bzw. inhaltlich immer absolut richtig sind. Letztlich wird es vielmals bei einem empfehlenden Charakter bleiben mรผssen. Wer am 18. Mรคrz 2017 nicht am Versammlungsgeschehen teilnehmen mรถchte und eine Anwesenheit im fraglichen Bereich vermeiden kann, der sollte dies bitte auch tun. In meinem Bekanntenkreis gibt es mehrere Personen, die in der Sรผdvorstadt oder in Connewitz wohnen und die mir signalisiert haben, es von sich aus so zu handhaben. Dieser Fakt und der Umstand, eine solche Bitte รคuรern zu mรผssen, stimmt mich รผbrigens nachdenklich, denn Versammlungsfreiheit bedeutet im Wesentlichen, eine Meinung nach auรen und an die รffentlichkeit zu richten. Es sollte daher eigentlich nicht nรถtig werden, eben diese รffentlichkeit zu Meidungsverhalten aufzufordern. Und obwohl ich es in der Antwort zur vorherigen Frage schon einmal zum Ausdruck gebracht habe, wiederhole ich es gern, denn es ist besonders wichtig: An einem Ort, an welchem Straftรคter einen unรผbersehbaren Landfriedensbruch begehen, kann es schon nach gesundem Menschenverstand nicht gleichzeitig einen friedlichen Protest und auch keine Solidarisierung geben. Es liegt hier vorrangig in der Verantwortung der Versammlungsleiter und -teilnehmer, diesen Ort umgehend zu verlassen. Gleiches gilt fรผr sonstige Passanten, wobei sich die einzuschlagende Richtung aufgrund der umgebenden Bebauung sowie aufgrund der klar zu erkennenden Konfrontationslinie zwischen Extremisten und Polizei regelmรครig von selbst ergibt. Und da der Mensch grundsรคtzlich auf Flucht programmiert ist, betrachte ich all jene, die dort staunend oder gar videofilmend verharren, schlicht und einfach als sensationslรผstern. Sollte in diesem Personenkreis der Anspruch bestehen, die Polizei habe mit ihren Krรคften und Mitteln innerhalb eines dem 12. Dezember 2015 vergleichbaren Szenarios die tatsรคchliche Mรถglichkeit, selektiv zu agieren und nur auf aktive Stรถrer/Straftรคter einzuwirken, so wird u. a. die Lektรผre des ยง 32 Sรคchsisches Polizeigesetz wรคrmstens empfohlen.
Sie sehen eine nicht unerhebliche Verantwortung auf den Schultern der Versammlungsleiter und Versammlungsteilnehmer im Gegenprotest. Warum?
Nach meiner Auffassung erschรถpft sich deren Verantwortung nicht darin, Protest gegen Rechtsextreme auf die Straรe zu tragen, sondern reicht mindestens in moralischer Hinsicht weit รผber festgeschriebene Pflichten aus dem Versammlungsrecht hinaus. Ich
sehe diesen Personenkreis, der sich vรถllig zu Recht gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Menschenverachtung und Gewalt positioniert, eben auch in der Pflicht, sich gegen jeglichen Extremismus auszusprechen โ und zwar aktiv. Doch bei der dargestellten Ausgangslage verwundert es, wenn derzeit kaum eine der Stimmen zu vernehmen ist, die sich sonst persรถnlich und lautstark im (Gegen-) Protest engagiert. Bei aller Berechtigung und Notwendigkeit, behรถrdliches Handeln รผber Medien-Statements, Beschwerden, Strafanzeigen oder Kleine Anfragen kritisch zu bewerten und zu hinterfragen, wird โ wenn nur dies erfolgt โ eine verkรผrzte Verantwortung gelebt. Wo bleiben JETZT mรครigende Worte, Aufforderungen zu Gewaltlosigkeit und Distanzierungserklรคrungen? Leider รผberrascht uns dies nicht wirklich, denn hier mussten wir in der Vergangenheit und speziell rund um den 12. Dezember 2015 schon sehr viel Lehrgeld zahlen. Dennoch bleibt es bis heute eine bodenlose Frechheit, wenn sich Einzelpersonen aus diesem Kreise damals beispielsweise erdreisteten, den Behรถrden รถffentlich den Vorwurf zu machen, sie haben die Gewalttรคtigkeiten heraufbeschworen, weil sie legitimen Protest in Hรถr- und Sichtweite โverunmรถglichtโ hรคtten. Und es ist ein bezeichnender Ausdruck des eigenen Distanzverstรคndnisses, wenn beispielsweise ein Jahr danach in einem Fernsehinterview verharmlosend ausgesagt wird, die Gewalt habe den friedlichen Protest โein Stรผck weit diskreditiertโ. Nach unserer festen รberzeugung kann der Zweck niemals die Mittel heiligen und es ist mithin nicht akzeptabel, Linksextremisten und ihre Gewalt direkt oder indirekt zu hofieren. Es gibt keinen guten Extremismus โ er ist immer und allerorten abzulehnen. Das vermissen wir absolut. Wir brauchen aber auch keine nachtrรคglichen Schulterklopfer.
Was ist mit den Schulterklopfern gemeint?
Stadt und Polizeidirektion Leipzig stehen bekanntlich nicht zum ersten Mal vor einer derartigen Versammlungslage. Die Polizei wird wieder die Trennlinie bilden und sich wieder von selbsternannten Kennern des Versammlungsrechts anhรถren mรผssen, sie wรผrde sich falsch verhalten, wenn sie einen rechten Aufzug sichert. Von der anderen Seite wird wieder der Vorwurf erhoben werden, man sei auf dem linken Auge blind. Und zudem ist seit Jahren bekannt, dass Leipzig ein รถrtlicher Schwerpunkt des Linksextremismus ist und der uns entgegenschlagende Hass โ siehe 12. Dezember 2015 โ kommt nun einmal verstรคrkt aus dieser Richtung. Dieses Wissen existiert in der Gesellschaft, in Familien, Sportvereinen, in Schulen, Betrieben, in der Kirche, der Politik, an der Supermarktkasse und beim Friseur. Jeder weiร es, aber es erfolgen keine spรผrbaren Schritte gegen diese Zustรคnde. Damit mรผssen wir als Polizei leben, aber wir kรถnnen dann auch gern darauf verzichten, wenn sich die รผblichen Verdรคchtigen danach vรถllig erschrocken zu Wort melden und uns ihre volle Unterstรผtzung zusichern. Wenn die volle Unterstรผtzung nach drei Tagen in Vergessen mรผndet und man den รถffentlichen Diskurs mit Meinungsfรผhrern scheut, dann werden wieder und wieder Angriffe auf Beamte erfolgen. Phrasen helfen da keinen Deut.
Sind Sie am 18. Mรคrz 2017 vor Ort?
Ich werde im Dienst sein und mich in der Nรคhe des Versammlungsgeschehens aufhalten, es in der Hoffnung auf einen friedlichen Verlauf beobachten, Bรผrgerfragen beantworten, wahrscheinlich wieder das ein oder andere Streitgesprรคch fรผhren, mich Beschimpfungen aussetzen und Medienauskรผnfte geben. Danach werde ich irgendwann wieder im Bรผro sitzen und darรผber nachdenken, ob die Mรผtter und Vรคter des Grundgesetzes schon solche Bilder vor Augen hatten, als sie das Recht formulierten, sich โfriedlich und ohne Waffenโ zu versammeln und warum es dazu eigentlich Polizei braucht.
Quelle: Auszug PM Polizeidirektion Leipzig